Neue Reize für den Kopf
Wie Psychologen
einen Klassiker beleben
T
ennisspieler wissen um das Problem: Wie ist es mög-
lich, den Aufschlag eines Gegners zu parieren, der mit
mehr als 150 Stundenkilometern auf einen zurast? Und
wie gelingt es, den Ball möglichst präzise zurückzuspie-
len? „Tennisspieler können nicht warten, sie müssen an-
tizipieren, was passiert“, erklärt Dr. Sabine Grimm. Die
Psychologin, die seit rund zwei Jahren als wissenschaft-
liche Assistentin am Institut für
Psychologie der Universität Leip-
zig forscht, muss es wissen – auch
wenn sie selbst kein Tennis spielt.
Schon seit Längerem widmet
sie sich den Mechanismen der
Wahrnehmung und damit auch
der Frage, wie Umweltreize im
Gehirn repräsentiert sind und
welche Rolle die Prädiktion – die
Vorhersage zukünftiger Reizge-
gebenheiten – dabei spielt. „Um
effizient auf Umweltreize zu reagieren, erstellen wir ein
internes Modell der Reizabfolge, welches uns hilft, solche
Vorhersagen zu treffen“, sagt Grimm.
Die Forschungslabore der 37-jährigen Wissenschaft-
lerin liegen im Städtischen Kaufhaus, einem ehemaligen
Messehaus mitten in der Leipziger Innenstadt. Grimm ist
Mitglied der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Erich Schröger,
die sich unter anderem dem Thema Aufmerksamkeit und
Wahrnehmung verschrieben und damit ein internationa-
les Renommee erarbeitet hat. „Aufmerksamkeit ist wich-
tig, weil sie filtert, was der Mensch aufnimmt, lernt oder
woran er sich erinnert“, erläutert Schröger. Alles, was der
Mensch in sein Gedächtnis aufnimmt, läuft über Wahr-
nehmung. „Aufmerksamkeit und Wahrnehmung sind ein
Klassiker in der Forschung, der schon zu Zeiten von Aris-
toteles ein Thema war“, so der Psychologe. Schröger ist ei-
ner der Ansprechpartner für den Forschungsprofilbereich
„Mensch und Gehirn“, in dem Wissenschaftler der Uni-
versität, des Universitätsklinikums sowie der drei Leip-
ziger Max-Planck-Institute die Funktionen des menschli-
chen Gehirns untersuchen.
Neu belebt wird das Begriffspaar „Mensch und Ge-
hirn“ durch innovative Labormethoden und neurowissen-
schaftliche Verfahren, die Schrögers Forscherteam ins Spiel
bringt. Dr. Nicole Wetzel erforscht, wie sich Aufmerksam-
keit bei Kindern und Jugendlichen entwickelt. „Wir zeigen
ihnen beispielsweise Bilder von Tieren und Kleidung und
bitten sie, diese zu kategorisieren. Gleichzeitig präsentieren
wir Störgeräusche und können beobachten, wie diese die
Leistung beeinflussen“, erklärt sie. Bei ihren Experimenten
erfasstWetzel nicht nur, wie viel Zeit die Teilnehmer für eine
Reaktion benötigen, über Elektroenzephalographie-Syste-
me (EEG) misst sie Hirnstromsignale und beobachtet mit
einem sogenannten Eye-tracker Augenbewegungen und die
Veränderung der Pupillengröße ihrer Probanden. Heraus-
finden will sie, wie unvorhergesehene und neue Reize die
Leistung von Kindern und Jugendlichen beeinflussen und
wie diese im Gehirn verarbeitet werden. „Das ist spannend,
weil wir noch zu wenig über die Entwicklung solcher Auf-
merksamkeitsmechanismen wissen“, sagt die 41-Jährige.
Lassen sich Kinder leichter als Erwachsene ablenken? Wie
entwickelt sich die Aufmerksamkeitskontrolle bei Kin-
dern? Und welche Faktoren beeinflussen die Ablenkung?
Alles Fragen, die noch nicht hinreichend beantwortet sind.
Während Sabine Grimm und Nicole Wetzel kurz vor
ihrer Habilitation stehen, ist für Anna Marzecová die Zu-
kunft noch offen. Ihre Ausgangsbedingungen sind in jedem
Alles, was der Mensch
in sein Gedächtnis
aufnimmt, läuft über
Wahrnehmung.
MENSCH UND GEHIRN
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L U M A G F O R S C H U N G – 01/ 2 015