Neue Impulse für
die Alzheimerforschung
Hochkomplexe Vorgänge
im Gehirn verstehen
N
eben derWeltraum- und Elementarteilchenforschung
hält Prof. Dr. Thomas Arendt vomPaul-Flechsig-Ins-
titut (PFI) der Medizinischen Fakultät die Hirnforschung
gegenwärtig für die größte verbleibende Herausforderung
der Wissenschaft. Weil sie eine Schnittstelle von vielen
Gesellschaftsbereichen ist: der
Philosophie mit allen Persönlich-
keitsfragen, der Psychiatrie und
Soziologie bis hin zu molekula-
ren Wechselwirkungen. „Dabei
sind viele Teile noch komplett
unverstanden. Wir können nach-
vollziehen, wie sich zwei Zellen
über Synapsen unterhalten. Bei
dreien wird es schon kompliziert
und bei den bis zu zehntausend,
mit denen jede einzelne in der Re-
gel in Kontakt steht …“ – ein Handschwung in die Unend-
lichkeit beendet seinen Satz.
Er sei kein religiöser Mensch, sagt der Wissen-
schaftler, dessen Spezialgebiet molekulare und zellulä-
re Mechanismen der Neurodegeneration sind, dennoch
empfinde er mit Blick auf die Grenzen des menschlichen
Vermögens eine Art Demut vor der Natur. „Was psychi-
sche Erkrankungen angeht, hat die Forschung bislang nur
ein kleines Puzzleteilchen in der Hand.“ Und das, obwohl
die Forscher am PFI methodisch breit aufgestellt sind,
über jahrzehntelange Erfahrung verfügen und auf rich-
tungsweisende Erfolge blicken können.
So waren sie es, die vor über 30 Jahren an der Ent-
deckung des Absterbens von Neuronen im Gehirn von
Alzheimer-Patienten beteiligt waren, die den Botenstoff
Acetylcholin zur Übertragung von Signalen verwenden.
Damit wurden die Grundlagen der bis heute einzigen
möglichen Behandlung geschaffen, die darauf abzielt, den
Verlust des Botenstoffes auszugleichen. Seitdem beschäf-
tigen sich in Leipzig zahlreiche Wissenschaftler mit der
Alzheimerschen Erkrankung, ihren Ursachen und Thera-
piemöglichkeiten.
Für die Frühdiagnose ist ein weiterer Erfolg in
greifbare Nähe gerückt, berichtet Arendt: „Wir sind zu-
versichtlich, bald einen von uns entwickelten Bluttest in
die klinische Anwendung zu bringen und später ebenso
kostengünstig wie einfach beim Hausarzt durchführen zu
lassen.“ Auf therapeutischer Seite konzentriert sich sein
Team auf Zellteilungs- und Kommunikationsstörungen
sowie auf die Entwicklung von Gentherapien. Bei der
Alzheimerschen Erkrankung sterben Nervenzellen an ab-
normen Ablagerungen oder auch fehlgeleiteten Teilungs-
mechanismen, ähnlich denen in Tumoren. Die Prozesse
könnten aufgehalten werden, indem eine Art molekularer
Schalter in die Zelle eingebaut wird, der den Zellschutz
aktiviert und ihren Tod verhindert. Dass die Gentherapie
wirkt, konnte experimentell bereits gezeigt werden.
Ein zweiter Therapieansatz ergründet eine besonde-
re Art Nervenzellen, die durch ein netzförmiges Mikro
milieu um sich herum auf natürliche Weise und dauer-
haft gegen Ablagerungen und Zelltod geschützt sind. In
Die Kombination
von Hirnaufnahmen mit
einem Magnet-Resonanz-
Tomograph (MRT) und
einem Positronen-Emissions-
Tomograph (PET) ermöglicht
eine neuartige Diagnostik.
(Fotos: Waltraud Grubitzsch)
MENSCH UND GEHIRN
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L U M A G F O R S C H U N G – 01/ 2 015
„Dass die Gentherapie
wirkt, konnte
experimentell bereits
gezeigt werden.“