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MENSCH UND GEHIRN

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L U M A G F O R S C H U N G – 01/ 2 015

H

ätte der Mann auf dem Stuhl nicht diese ungewöhnli-

che Konstruktion auf dem Kopf, würde man ihn ver-

mutlich für einen der Laboranten halten. Doch nahe der

linken Schläfe und am Hinterkopf trägt er zwei schwarze

faustgroße Gestelle, die an die Rollen von Bürostühlen

erinnern. Es sind Spulen, die elektromagnetische Wellen

aussenden. Sie erzeugen ein Magnetfeld, das die Nerven-

zellen an der Signalweitergabe hindert, und zwar genau

dort, wo unter der Schädeldecke die Regionen liegen, die

wir zur Sprachverarbeitung brauchen. Der Proband erlebt

die kontrollierte Simulation eines Schlaganfalls.

Bei einem Schlaganfall erhält meist ein Teil des Ge-

hirns zu wenig Blut und damit auch zu wenig Sauerstoff

und Nährstoffe. Nervenzellen sterben ab oder stellen ihre

Funktion ein. Es kann unter anderem zu Lähmungen,

Seh- und Sprachstörungen kommen. Manche Patienten er-

holen sich schnell und gut nach einem Schlaganfall, ande-

re kaum. Woran das liegt? Versuchsleiter Julian Klingbeil

will das herausfinden. Er gehört der Forschungsgruppe

„Sprache und Aphasie“ von Privatdozentin Dr. Dorothee

Saur an der Klinik für Neurologie des Universitätskli-

nikums Leipzig an. Die Forschungsgruppe nutzt unter-

schiedliche Methoden um zu verstehen, wie sich das Ge-

hirn nach einem Schlaganfall neu organisiert. Neben der

TMS, der transkraniellen Magnetstimulation, sind das

Magnetresonanztomografien und Hirnstrommessungen.

„Menschen, die einen Schlagfall hatten, haben sehr

häufig Probleme mit der Sprache. Um besser zu verstehen,

wie das Gehirn mit Sprachstörungen auf den Schlaganfall

reagiert, untersuchen wir auch,

wie das gesunde Gehirn Sprache

verarbeitet“, erklärt Klingbeil.

Auf dem Schreibtisch vor der

gesunden Versuchsperson steht

ein Monitor. Darauf erscheinen

Sätze: „Der Mann trinkt Wein.

Der Mann trinkt Rist. Der Mann

trinkt Schuhe.“ Der Proband

muss entscheiden, welche Sätze

sinnlos sind oder Phantasieworte

enthalten und dementsprechend

einen Knopf vor sich drücken.

Die Reaktionszeit wird gemes-

sen. Immer wieder hört man ein Klicken, wie das von

einem elektrischen Feuerzeug. Mit jedem Klick wird ein

Magnetfeld erzeugt. Auf einem Bildschirm hinter der

Versuchsperson läuft ein Diagramm, das nach oben und

unten ausschlägt, und Satzdauer, Stimulationszeitpunkt

und Reaktionszeit anzeigt.

„Sprache ist ein Netzwerk, das an verschiedenen

Stellen im Gehirn lokalisiert ist. Die unterschiedlichen

Prozesse, wie Nachsprechen, Verstehen, Sätze bilden, fin-

den an verschiedenen Stellen statt“, erklärt Saur. Sie und

ihr Team gehen davon aus, dass das gesamte Netzwerk

zusammenbricht, wenn eine der Regionen ausfällt. Beim

Sprechen nutzen wir überwiegend den linken Teil unseres

Gehirns. Wird dieser aber ge- oder zerstört, so springen

die Bereiche der rechten Gehirnhälfte ein. Zumindest

kurzfristig. Verstehen und Spre-

chen erholen sich. „Doch Monate

nach einem Schlaganfall stellen

wir fest, dass die Aktivierung

links wieder stärker ist und rechts

abgenommen hat“, so Saur.

Ihr Ziel ist herauszufinden,

was genau die rechte Hemisphäre

unseres Gehirns leistet. Kling-

beils Experiment ist nur ein sehr

kleiner Teil davon. Durch seine

kontrollierten „Mini-Schlagan-

fälle“ findet er heraus, welche

Regionen im Gehirn welche Relevanz für die Sprachverar-

beitung haben. „Mit einem Magnetfeld kann man ein Ge-

hirn nicht nur stören, sondern auch stimulieren“, erläutert

Saur. „Wir hoffen, in Zukunft durch punktgenaue Stimu-

lation bestimmter Areale, das Gehirn bei seiner Reorgani-

sation nach einem Schlaganfall unterstützen zu können.“

Pia Volk

Mehr Informationen unter:

http://neurologie.uniklinikum-leipzig.de

> Forschung > Schwerpunkte/Arbeitsgruppen

> Sprache & Aphasie

Welche Regionen des Gehirns haben welche Relevanz für die Sprachverarbeitung?

Julian Klingbeil (l.) und Dorothee Saur (r.) möchten das herausfinden.

(Foto: Christian Hüller)

„Sprache ist

ein Netzwerk, das

an verschiedenen

Stellen im Gehirn

lokalisiert ist.“