Festrede_Schenkel_dies 2013 - page 8

chisches Symbol und steht in einer besonders engen Beziehung zu unserer emotionalen und un-
bewussten Seite. Auf der anderen Seite ist er ein Instrument der Rationalität, des
mens
, und hat
das mathematische Denken durch Messung und Kalender vorangetrieben. Er spiegelt mithin die
Doppelnatur des menschlichen Wesens wider – man könnte auch sagen die Doppelnatur einer
Universität. Denn diese besteht aus Wissenschaften, die sich mit dem Menschen beschäftigen
und solchen, die sich mit der Natur beschäftigen, wobei es durchaus naturwissenschaftliche Ver-
fahren in den Geisteswissenschaften gibt, wie auch die Humanwissenschaften, etwa in der Medi-
zin, den Naturwissenschaften zur Seite stehen. Metapher und Kalkül, Emotion und Messung bil-
den die Pole im Charakter wie in der Gesellschaft und das Bild vom Mond ist von dieser Polari-
tät geprägt.
Die doppelte Seite des Mondes soll mein Ausgangspunkt sein für eine Reihe von Begegnungen
zwischen den Wissenschaften und der Imagination. Dabei handelt es sich nicht nur um Begeg-
nungen im engeren Sinne, sondern um oft unbewusst ablaufende Interaktionen.
Im Jahre 1609, als die Universität Leipzig ihren 200. Geburtstag feierte, hatte ein berühmter Ast-
ronom einen merkwürdigen Traum. Johannes Kepler schreibt in seinem erst 1634 postum veröf-
fentlichten
Somnium
, wie er zum Mond reiste. Der Traum ist verschachtelt: Der Erzähler, be-
ginnt damit, dass er sich in dieser Zeit viel mit der Gründung Prags beschäftigt hat, weil es große
politische Spannungen in der Stadt gibt – sie werden zum Dreißigjährigen Krieg führen. Dann
spricht er von einem Buch, das er sich auf der Frankfurter Buchmesse gekauft habe, schläft dar-
über ein und beginnt zu träumen, und zwar von Island. Dort lebt ein Junge namens Duracotus,
dessen Mutter als Kräuterhexe den Seeleuten magische Beutel verkauft, die sie vor Stürmen
schützen sollen. Eines Tages ist der Junge so neugierig, dass er einen dieser Beutel öffnet und
hineinschaut. Die Mutter erfährt es und bestraft ihn damit, dass sie ihn ausweist. Er soll mit ei-
nem Kapitän in die Ferne ziehen. So geschieht es und der Kapitän bringt ihn nach Dänemark, zu
dem Astronomen Tycho Brahe
.
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Dort wird Duracotus ein gelehriger Schüler der Astronomie –
ganz wie Kepler selbst, der ja bei Brahe gelernt hat. Nach einigen Jahren kehrt er nach Island
zurück, mit astronomischen Kenntnissen gestärkt. Seine Mutter bereut ihre harte Sanktion und
lädt ihn als Belohnung zu einem Treffen mit Dämonen an einem Krater ein. Das ist insofern inte-
ressant, als isländische Krater gern als Verbindung zur Anderwelt angesehen werden. Im Mittel-
alter vermutete man hier unter anderem den Eingang zum Fegefeuer, bei Jules Verne geht es
durch sie hindurch zum Mittelpunkt der Erde und bei Kepler stellt diese geologische Formation
eine Beziehung zum Mond her. Genau zu dieser Zeit, 1609 – 1610, sollte ja Galileo mit dem
neuen Teleskop herausfinden, dass auch der Mond Pocken und Narben wie die Erde hat. Die
Mutter hat einen besonders guten Draht zu einem Dämon des Mondes, der auch Levania heißt.
Mit diesem Dämon wollen die beiden nun kommunizieren. Sie legen sich nieder und bedecken
ihre Häupter mit Mänteln, so dass das Wesen nur gedämpft, aber irgendwie schnarrend zu hören
ist. Was der Dämon nun berichtet, ist erstaunlich. Zunächst erfährt man, wie man überhaupt zum
Mond kommt. Nur an bestimmten Tagen des Jahres sei dies möglich, denn dann sei der Dämo-
nenverkehr nach oben unbehindert. Aber man müsse auch Opiate nehmen, um die Geschwindig-
keit zu überstehen. Deutsche seien leider gar nicht für die Raumfahrt geeignet, da sie zu dick
sind und zum Saufen neigen. Am besten geeignet seien alte Frauen, die auf Astgabeln oder Bö-
cken zu reiten gewohnt seien und vor allem die drahtigen, welterfahrenen Spanier – sozusagen
die Amerikaner der ersten Globalisierung. Kepler meint dies auch in einem geistigen Sinn: „Wie
Deutschland den Ruhm der Feistheit und Esslust genießt, so genießt Spanien den des Geistes
und der Urteilskraft sowie der Mäßigung.“
Der Mond ist bewohnt von verschiedenen Wesen, teilweise sind sie reptilienartig, sie wohnen in
Höhlen und anderes mehr. Wir erfahren über die Tages- und Nachtzeiten auf dem Mond und vor
allem: wie die Erde von hier aussieht. Dann bricht der Traum ab, in Prag prasselt Regen auf das
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Brahe begann bekanntlich seine astronomischen Studien als Student in Leipzig.
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