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UNIVERSI TÄT UND STADT

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A L U M N I — 2 016

Was hat eine Stadt eigentlich davon,

eine Hochschulstadt zu sein?

Peer Pasternack: Schauen Sie einmal in Städte, die

keine Hochschule haben, oder führen Sie sich vor Augen,

wie ruhig eine Hochschulstadt während der Semesterfe-

rien im Vergleich zur Vorlesungszeit wirkt. Dann merken

Sie, was der Stadt an Lebendigkeit fehlen würde, wenn die

Hochschule nicht da wäre. Außerdem können viele Ziele ei-

ner wissensbasierten Stadtentwicklung häufig nur deshalb

definiert werden, weil es die Hochschulen am Ort gibt.

Thomas Lenk: Das würde ich noch aus einer ande-

ren Sichtweise ergänzen wollen. Die Hochschulen sind

ein Magnet für kluge Köpfe. Dadurch, dass es die Uni-

versität Leipzig gibt, siedeln sich andere Wissenschafts-

institutionen wie zum Beispiel die Max-Planck-Institute

oder die der Fraunhofer-Gesellschaft überhaupt erst in

Leipzig an. Wir können außerdem mit Ausgründungen

aus den Hochschulen rechnen. Und wir haben in be-

stimmten Stadtteilen ein kreatives Potenzial, das wir

ohne die Studenten gar nicht hätten. Nicht zuletzt haben

wir mit jedem Hochschulangehörigen, der seinen ers-

ten Wohnsitz in Leipzig anmeldet, auch immer höhere

Zuweisungen an die Stadt, sowohl im kommunalen als

auch im Länderfinanzausgleich.

Herr Pasternack, Sie haben von 1987 bis 1994

an der Universität Leipzig studiert.

Wie haben Sie Leipzig vor 1990 erlebt?

Pasternack: Es gab neben der Industrie drei Dinge,

die Leipzig prägten: die Messe, das Verlagswesen und die

Buchproduktion und die Universität. Dabei hatte die Uni-

versität damals nur 10.000 Studierende, allerdings deutlich

mehr Beschäftigte als heute. Dadurch gab es immer auch ein

entsprechendes Milieu, ein Publikum für die zahlreichen

Kultureinrichtungen. Theater, Gewandhaus oder Oper wa-

ren nie leer. Die Prägung der Stadt durch die Universität ist

nichts Neues, aber es ist auch nicht selbstverständlich, dass

das so über die Zeiten gerettet werden konnte.

Hat sich die Hochschulstadt Leipzig seitdem verändert?

Pasternack: Die Lage in Leipzig hat sich seitdem

gleich zweimal geändert. Ende der 80er-Jahre gab es eine

Zerfallskrise, die man in Leipzig ganz deutlich am bauli-

chen Zerfall gesehen hat. Die ging Anfang der 90er-Jahre

über in die Ungewissheitskrise, weil man nicht sicher war,

ob es jetzt wirklich aufwärts gehen würde, ob es zum Bei-

spiel gelingen würde, die Leipziger Universität neben der

TU Dresden als eine wirklich wichtige Universität zu plat-

zieren. Und dann kam der Leipzig-Hype in den 2000er-

Jahren, der bis heute für mich noch nicht zufriedenstel-

lend erklärt ist und meines Erachtens ein hohes Maß an

Selbstsuggestion zur Voraussetzung hat.

Was meinen Sie mit Selbstsuggestion?

Pasternack:Das

stadtbürgerlicheSelbstbewusstsein in

Leipzig führt dazu, dass man hier mit besonderer Intensität

die eigene Schönheit und Besonderheit betont. Sozialhilfe-

quote, Arbeitslosigkeit, Schulabbrecher, also Schulentlasse-

ne ohne Abschluss, kommunale Pro-Kopf-Verschuldung –

wenn wir solche Zahlen anschauen, sind die Daten hier aber

nicht so viel besser als andernorts.

Lenk: Man muss nicht unbedingt alles in Zahlen

fassen, da spreche ich mal gegen meine Profession. Ich bin

zwar kein Absolvent dieser Universität, aber ich war in

meinem Leben an keinem Ort so lange wie in Leipzig und

ich bin ein Fan dieser Stadt. Es gibt hier eine super Atmo-

sphäre und viele unserer Studierenden kommen eben auch

wegen dieses Rufes. Ich finde, die Begriffe „Likezig“ und

„Hypezig“ sind daher beide durchaus passend.

Pasternack: Leipzig hielt sich aber schon früher für

die schönste und beste Stadt Ostdeutschlands, als gestie-

gene Bewerberzahlen, Zuzüge, steigende Geburtenraten

noch gar nicht realisiert waren. Dieses positive Selbstbild

hat dann offenbar dazu beigetragen, dass tatsächlich ein-

getreten ist, was man zunächst nur suggeriert hat.

In einer sich wandelnden Gesellschaft verändert

sich auch die Rolle der Hochschulen. Neben Forschung

und Lehre rücken vermehrt die gesellschaftlichen

Aufgaben von Universitäten in den Fokus.

Professor Peer Pasternack, Alumnus der Universität Leipzig

und Direktor des Instituts für Hochschulforschung an der

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, widmet sich

als Forscher unter anderem der Frage, wie Hochschulen

in ihre Stadt und ihre Region hineinwirken.

Professor Thomas Lenk agiert als Prorektor für Entwicklung

und Transfer der Universität Leipzig an einer der

Schnittstellen zwischen Hochschule und Gesellschaft.

Im Interview mit Alumni-Koordinatorin Nina Mewes und

Susann Huster von der Pressestelle der Universität Leipzig

sprechen sie über den Wirtschaftsfaktor Universität,

über die Belebung beinahe aufgegebener Stadtteile

durch Studierende und über die Fähigkeit

der Leipziger zur positiven Selbstsuggestion.

„Hochschulen sind

einMagnet für kluge Köpfe“